Trend: Presence-Streaming / “Lifelogging”

Präsenz ist in vielen Online-Communities und sozialen Netzwerken seit jeher ein wichtiger Faktor. Das Gefühl, über das Medium mit anderen einen gemeinsamen Gegenwartsraum zu teilen, hat schon Howard Rheingold in seinem Klassiker der Community-Literatur “Virtuelle Gemeinschaften” in den ersten Absätzen des ersten Kapitels als wesentlichen Aspekt hervorgehoben. Auch für das Web 2.0 mit seinen entgrenzten Vernetzungsformen war Präsenz von Anfang an ein wichtiges Moment, so etwa in Form von presence-Indikatoren auf den Buddylisten Sozialer Netzwerke.

Gegenwärtig besteht offenbar ein Trend zu schlanken, presence-zentrierten Web 2.0-Anwendungen. Dafür einige Beispiele aus unterschiedlichen Bereichen:

  1. Vor einigen Wochen hatte ich über zweitgeist.com und me.dium.com berichtet, die so etwas wie ein kopräsentes www-Surfen ermöglichen (wird hier nicht wiederholt, bitte dort nachlesen).
  2. Vielen schon seit langem geläufig sind Services wie Skype oder Qnext, die nicht nur VoIP bieten, sondern teilweise auch Community-Funktionen (audio/video-conferencing) beinhalten (sehr spannend ist in diesem Zusammenhang z.B. KanTalk, ein Skype-basiertes soziales Netzwerk für Sprachenlernende).
  3. Natürlich darf, was das Thema presence angeht, der bereits seit einiger Zeit angebotene Service Plazes nicht unerwähnt bleiben. Hier installiert man einen kleinen Client auf dem Rechner und nennt den jeweiligen Ort, an dem man sich befindet. Der “Plazer” merkt sich die IP und schaltet automatisch um, wenn man sich an einem anderen Ort einloggt (es geht ansonsten auch per SMS etc., aber interessant an Plazes ist, dass man gar nichts machen muss). Plazes ist also eine Art minimales presense-streaming, das nur den jeweiligen eigenen Standort streamt.
  4. Neu und heiß diskutiert sind die beiden Angebote Twitter.com und Jaiku.com. Beide sind so etwas wie multi-plattformfähige Mini-Blogsservices – man berichtet einfach in einer Textzeile über die gegenwärtige Tätigkeit. Das ganze rollt dann entweder in einem öffentlichen Stream für alle sichtbar ab, oder aber es wird privat gehalten und etwa als SMS aufs Handy versandt. Liz Lawley vom Many2Many-Groupblog zeigte sich recht begeistert (hierzulande ist man eher skeptisch, was Sinn und Nutzen des Angebots angeht); jedenfalls erlebt Twitter möglicherweise momentan seinen Take-off. Ich finde Jaiku interessanter (auf den ersten Blick; ich benutze sowas eher nicht). Es bietet eine grafische “Jaiku-Map” (auf der die Meldungen verteilt erscheinen) und integriert v.a. beliebig viele Webfeeds (Blog- oder Photostreams, Bookmarks etc.) in den presence stream – das finde ich nun wieder recht geschickt, weil man sich so um Jaiku nicht unbedingt kümmern muss, da es ja aus vielen Quellen automatisch gefüttert wird (jedenfalls bei Leuten wie mir, die ihre Informationen zunehmend in RSS-kompatiblen Systemen organisieren, von del.icio.us und diigo.com über furl.net, citulike.org, hiveminder.com und Google-Calendar bis hin zu blogger.com).

Mit den letzteren Beispielen kommt der presence-Aspekt in besonders reiner Form zum Vorschein, da es bei Twitter und Jaiku nicht primär um Communities und um Netzwerke, sondern um offene Präsenz-Systeme geht, die sich ganz im Sinne von “Web 2.0” – leichtgewichtig und mobil – überall einbinden und verwenden lassen.

Presence-Streaming ist damit nur ein weiterer Audruck des allmählichen Zusammenwachsens von Online- und Offline-Sphäre – einem Trend, der mit einer zunehmend nahtlosen Integration von (Selbst-)Veröffentlichungs- und somit Selbstsymbolisierungspraktiken einhergeht, und der dabei ist, sich über mobile Gadgets in den Alltag einzuschreiben (s. auch mein Posting zur “Augmented Party”).


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Der/die/das Jaiku-Badge:

Nachtrag:
Das Weblog Basic Thinking hat eine Twitter-Umfrage gestartet – überwiegend wird das Tool als “unnütz” bewertet.

Nachtrag 2:
Dazu noch “eine kurze Geschichte des Bloggens”, gefunden auf Mashable:
Bloghistory
Nachtrag 3:
Zwei weitere Angebote, die auf einer ähnlichen Idee beruhen: Others Online und Explode ( > Read/WriteWeb)

Nachtrag 4 (12.6.2007): Ein interessanter Beitrag auf 3pointD über “Lifelogging and Identity in the Metaverse

Nachtrag 5 (Juni 2008): Ein weiterer Beitrag von mir zum Thema: Microblogging/Lifelogging revisited.


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